Klingendes Kleinod

Meldung Reutlinger General-Anzeiger am 20. Mai 2014

GENKINGEN. Auch Orgeln haben einen Geburtstag. Und weil die Genkinger Orgel etwas besonderes ist, feierte die evangelische Gemeinde am Sonntagnachmittag mit einem Jubiläumskonzert ihr Instrument.

"Wenn eine so bedeutende Orgel wie die ihre 75 Jahre alt wird, kann man etwas dazu sagen" begann der aus Dresden angereiste Organist und Orgelsachverständige Reimund Böhmig seinen einführenden Vortrag. Am Vorabend des 2. Weltkrieges entwarf der Esslinger Kompositionsprofessor Helmut Bornefeld das Instrument, das von Firma Steirer gebaut wurde.

Um 1900 begann eine kulturelle Reformbewegung, aus der der Jugendstil, die Lebensreformbewegung (mit den heute noch vorhandenen Reformhäusern), der Wandervogel und die Jugendmusikbewegung (mit Künstlern wie Carl Orff) hervorgegangen sind. Weniger bekannt ist jedoch die Tatsache, dass es auch eine Orgelreformbewegung gab, zu dren Anhängern Helmut Bornefeld (1906 - 1990) gehörte. Man wollte wieder Orgeln mit mechanischer Ventilsteuerung bauen, die sich an den Meisterwerken des Barock orientierten.

Ideal der Barockzeit

Diese Rückbesinnung gelang Helmut Bornefeld ziemlich gut, bis dahin, dass er seinem Instrument auch sein eigenes feuriges Klangbild mitgab und es ihm zudem gelang, mit nur 17 Registern ein erstaunlich breites Spektrum an Klangfarben abzudecken. "Ökonomie ist ja nicht unbedingt ein Prinzip der Barockorgel", sagte Böhmig, "aber Bornefeld war eben Schwabe". In der Zeit der Nazi-Diktatur war es eine außergewöhnliche Leistung, überhaupt den Bau einer neuen Kirchenorgel durchsetzen zu können. "Die Schwierigkeiten beim Bau sehen Sie der Orgel am Gesicht an, weil Bornefeld statt Zinkpfeifen Kupferpfeifen nehmen musste, da diese billiger waren"

Als Reimund Böhmig das Konzert mit der Toccata Decima in F des frühbarocken Komponisten Michelangelo Rossi beginnt, zeigt sich, dass der Orgel die Kompromisse beim Bau nicht unbedingt geschadet haben. Das kleine Instrument entfaltet eine erstaunliche Fülle mit einer verblüffenden Vielzahl an Klangeffekten. Der Klang ist etwas stumpfer und weniger silbrig als der Klang der sonst üblichen Zinnpfeifen, doch ist er klar und wichtig, was der präzisen Artikulation Reimund Böhmigs sehr entgegenkommt. In dem melodisch verspielten Stück des Italieners spielt er Triller mit leichter Hand, die Akkorde mit Wucht.

Ungewöhnliche Klangeffekte

Die Variationen über "Vater unser im Himmelreich" des erst in jüngster Zeit wieder bekannter gewordenen Johann Ulrich Steigleder überraschen mit ungewöhnlichen Klangeffekten. Über träge schnarrenden Bässen fließen schwermütige Melodien dahin, die Böhmig mit der passenden Getragenheit spielt.

Im Mittelpunkt des Konzerts stand natürlich Helmut Bornefelds "Choralpartitia I" ein Werk voll schräger Neutönerei und kühner tonaler Sprünge, das durch die satte Klangfarbe der Bornefeld-Orgel gut zur Geltung kam. Den Schluss des Konzerts bildete Johann Sebastian Bachs majestätisch getragenes Allabreve D-Dur, das Böhmig mit virtuoser Geschmeidigkeit spielte.